Angeschnitten: Albornoz mal wieder!

Hannover 96 hat sein nicht allzu unwichtiges Auswärtsspiel beim Tabellenletzten aus Hoffenheim mit 1:0 verloren. Das Tor fiel über die linke Seite, es erschallte wieder der Chor: Albornoz mal wieder! Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. In der zweiten Folge unserer Kurzformat-Serie (letztes Mal ging’s um Sobiech) versuchen wir, die Entstehung des Siegtreffers kurz Schritt für Schritt aufzuschlüsseln.

Was ist passiert?

In der 29. Minute erobern Gülselam und Sané im Mittelfeld den Ball. Sané passt in der Bedrängnis auf Prib, der am linken Flügel aber schnell von Elyounoussi und Kaderabek unter Druck gesetzt wird. Saint-Maximin kann Pribs etwas ungenauen Pass nicht sichern, der Ball rutscht auf TSG-Innenverteidiger Süle durch. (Dieser Ausgangsszene waren zwei lange Bälle und die folgenden Duelle um Abpraller voraus gegangen. Prib ist daher weit aufgerückt, Albornoz schon wieder hinten.)

KA_Ggtor-EntstehungIFolglich gibt es viel Platz auf dem linken Flügel. Die 96-Staffelung bietet unmittelbar nach dem Ballverlust kaum Möglichkeiten für effektives Gegenpressing – Allan Saint-Maximin und Leon Andreasen versuchen es aber auch gar nicht erst. Über Süle kommt der Ball zu Schwegler. Elyounoussi startet durch, doch Prib läuft Schwegler hinterher.

KA_Ggtor-EntstehungIINoch ist nichts passiert: 96 behält im Konteransatz zunächst die eigene Formation bei und ist ballnah einigermaßen kompakt. Die Abwehr steht noch relativ hoch, Elyounoussi ist noch in der eigenen Hälfte.

KA_Ggtor-EntstehungIIIElyounoussi erhält den Ball von Schwegler, 96 weicht kollektiv zurück. Volland beschäftigt Schulz, aber 96 ist auf dem Flügel in Überzahl.

KA_Ggtor-EntstehungIVElyounoussi dribbelt durch den freien Raum. 96 fällt weiter zurück, bis Albornoz leicht herausrückt und Elyounoussi stellt. Sané setzt Elyounoussi etwas zu direkt unter Druck, kann den Pass auf den nachstoßenden Schwegler aber nicht verhindern. Volland weicht jetzt in den Raum hinter Albornoz aus, Schulz geht seine Bewegung mit.

KA_Ggtor-EntstehungVNun die vielleicht entscheidende Sekunde: Nachdem Schwegler an den Ball gekommen ist, setzt Elyounoussi zu einem diagonalen Sprint in die Tiefe an. Albornoz sieht, dass sich Sané nun an Schwegler orientiert, und verfolgt Elyounoussis Laufweg, womit der Passweg auf Volland geöffnet wird. Schulz wendet sich aber von Volland ab und orientiert sich wieder nach innen. Sané ist nicht wendig genug, um Schwegler schnell zu stören, sodass dieser nun in den geöffneten Raum hinter Albornoz spielen kann. An dieser Stelle ist nicht mehr viel zu retten.

KA_Ggtor-EntstehungVIVollands Flanke findet Schmid, dessen Laufweg vom Start der Szene weg ohnehin recht beachtlich ist. Aus der Tiefe bewegte er sich schnell in die Spitze und lief von außen etwas unkonventionell vor Marcelo entlang in Richtung des kurzen Pfostens. Marcelo sieht ihn zu spät kommen, ist zu weit vom Gegenspieler entfernt und kann Schmids Kopfballtreffer nicht verhindern.

Was lief schief?

Im Idealfall unterbindet man den Konter direkt in seiner Entstehung, aber auf Grund der Vorgeschichte mit langen Bällen und dem Kampf um lose Bälle ist gutes Gegenpressing schwierig. Hoffenheim steuert den richtigen Raum an, und 96 verpasst den einen Moment des möglichen Zugriffs: Schweglers Pass auf Elyounoussi ist ebenso wie dessen Ballmitnahme etwas ungenau, sein Sichtfeld weist nicht ins Feld. Doch Sané ist etwas zu weit weg, und Albornoz hätte beim Herausrücken in ein schlecht abgesichertes Eins-gegen-Eins gehen müssen, auch ein Risiko. Anschließend bekommen Sané, Albornoz und der vielleicht etwas zu langsam zurückgeeilte Prib den Hoffenheimer nicht richtig gestellt. Doch selbst an diesem Punkt (vierte Grafik) ist noch nicht viel passiert: Schulz ist bei Volland, Albornoz bei Elyounoussi, Gülselam kann sowohl das Zentrum versperren, als auch Amiri aus dem Spiel nehmen, Marcelo und Sakai sind bei Schmid. Aber in der folgenden Sekunde treffen mehrere 96-Spieler einfach die falschen Entscheidungen: Schulz als tiefster Spieler kann als Einziger sehen, was passiert, lässt aber trotz Albornoz‘ Entscheidung, Elyounoussis Lauf mitzugehen, Volland laufen. (Albornoz‘ Laufweg ist übrigens nicht unbedingt falsch – es gibt Beispiele, in denen mannorientiertes Verfolgen solcher Tiefenläufe als lehrbuchhaftes individualtaktisches Verhalten interpretiert wird.) Sané stört Schwegler dann nicht richtig, und am Ende passt obendrein die Kommunikation zwischen Sakai und Marcelo nicht.

Kurz: Hoffenheim hat einen Konter gruppentaktisch gut ausgespielt, Hannover hat einen Konter gruppentaktisch nicht gut verteidigt. Verteidigen ist nicht nur (meistens) eine reaktive Handlung, die Entscheidungen müssen auch in Sekundenbruchteilen getroffen werden. In diesem Fall wiegen aber vielleicht der verpasste Zugriff auf Elyounoussi am Beginn des Dribblings (tendenziell eher durch Sané bei 29:23) und Schulz‘ Bewegung von Volland weg (bei 29:27-29:28) am schwersten. Albornoz‘ Laufweg hingegen ist individualtaktisch eigentlich eine lässige Aktion. Man sieht: Nicht alle Tore über links fallen, weil der Linksaußen „seine Seite nicht im Griff hat“.

Und wenn uns noch eine generelle Anmerkung gestattet ist: Beispiele wie dieses zeigen auch exemplarisch, wie wichtig die Eingespieltheit, die Abstimmung und nicht zuletzt das taktische Verständnis einer Mannschaft sind. Nicht alle Aktionen, man denke etwa an das Stören eines Gegners, oder das Versperren eines Laufwegs, verlangen Messi-anische Ballbehandlung oder Robben-sische Athletik. Wenn sich eine mit einander gut vertraute Truppe sauber bewegt und gut staffelt, muss der Gegner das Tor schon erzwingen, das fällt auch dem BVB oder Bayern weniger leicht, als man manchmal denkt (wie am vergangenen Samstag zu besichtigen war).

4 Kommentare

  • Schlaudrauf sagt:

    Danke für den Artikel! Albornoz macht in letzter Zeit nicht immer die beste Figur, wie aber in einer insgesamt schwachen Mannschaft, deren Verteidigung generell schon besser war, immer die Schuld auf ihn abgewälzt wird, finde ich doch bedenklich.
    In der Szene ist mir gleich aufgefallen, dass er eigentlich nicht den größten Fehler macht, allerdings sah das in Spielgeschwindigkeit für mich so aus, als wäre Albornoz aufmerksam (in dem er nach innen zieht) und Prib verpennt es komplett (in den von Albornoz nun nicht mehr besetzten Raum) hinterherzugehen und so entsteht die gefährliche Situation.
    Interessante Aufschlüsselung von euch, wobei die, die es nicht hören wollen, vermutlich nicht errreicht werden… Mal gucken ob es dann zur Winterpause sieben neue Linksverteidiger gibt.

    • Jaime sagt:

      Ja, grundsätzlich kann man auch über Pribs Rolle diskutieren. Andererseits hat er eben einen ziemlich weiten Weg zurückzulegen… hätte aber auch etwas schneller gehen können. Und die Frage, die ich mir noch stelle, ist: Ist es sinnvoll, Schwegler nachzulaufen, oder wäre es nicht vielleicht „richtiger“, sich seinem eigentlich nominellen Gegenspieler, also dem gegnerischen Flügelspieler, zu widmen? Andererseits ist da der Weg noch länger… Und irgendwer muss auch zu Schwegler, wenn Sané es schon nicht macht. Alles nicht eindeutig aufzulösen. In der Endphase des Konters würde ich Prib aber fast schon aus der Verantwortung rausnehmen, an Volland kommt er dann wirklich nicht mehr ran. Da ist es aus meiner Sicht eher eine Schulz-Sache, eben weil er alles vor sich sehen kann und die Mannorientierung trotzdem auflöst. Aber vielleicht war er nur so überrascht von Albornoz‘ eigentlich ganz intelligentem Laufweg, weil er zu viel Zeitung liest und ihm das deshalb nicht zugetraut hätte ;).
      Es war bei dem Gegentor in Gladbach ja ganz ähnlich, da hatte Albornoz fast die geringsten Aktien drin. Aber juckt wohl wirklich die meisten nicht.
      Einer von den sieben zukünftigen Außenverteidigern wird solche Szenen aber ganz bestimmt mit heldenhaften Grätschen und martialischen Notbremsen regeln! Da haben wir dann alle wieder was zu Jubeln!

  • JaboIbehre sagt:

    Auch wenn’s nicht mehr ganz aktuell ist: Vielen Dank auch von mir für diese „Tiefenanalyse“!

    Ich hatte Prib und Marcelo als Hauptschuldige (wenn man das so nennen will) auserkoren; Schulz‘ entscheidende Rolle in der ganzen Entstehung war mir gar nicht klar.

    Kleine Randnotiz: In meiner „96-gucken-Stammkneipe“, einem Vereinsheim im beschaulichen Davenstedt, wo erstaunliche wenige Nörgler und Parolendrescher zum Stammpublikum gehören, gab es nur wenige Schuldzuweisungen in Richtung Albornoz, dafür viel Anerkennung für Hoffenheims Spielzug. 🙂

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