So schlecht sind wir doch gar nicht?

Zehn Punkte aus den letzten fünf Bundesligaspielen habe Hannover zuletzt geholt, sagte ein Sky-Reporter neulich nach dem HSV-Spiel, das sei doch eher die Bilanz eines Champions-League-Aspiranten als die eines potenziellen Absteigers.

Gut, das war vor dem Hertha-Spiel. Dem Heimspiel, bei dem 96 in den ersten 43 Minuten nicht auf das gegnerische Tor geschossen hat.

Aber das scheint man bei 96 nicht zu problematisieren, denn laut Bild.de bekam Frontzeck grad frisch von Martin Bader das Vertrauen ausgesprochen: „Er ist loyal, fleißig, kommunikativ und authentisch. Und wer viel arbeitet, belohnt sich im Normal-Fall auch.“ sagte der Geschäftsführer den Kollegen vom Boulevard.

Und 96 steht doch mit drei Siegen und Platz 15 nicht so schlecht da, freuen sich viele, die vor der Saison schon mit dem Abstieg gerechnet hatten. Bei manchen Spielen blieb ein schlechtes Gefühl, aber hey, wir haben Siegesdurst und unser Hals ist nach der letzten Rückrunde immer noch trocken. Lieber freuen als maulen, oder? Aber warum gewinnt 96 eigentlich überhaupt, wenn doch nicht zuletzt hier auf dieser Seite immer wieder gesagt wird, wie schlecht die Taktik sei? Warum holt 96 auch ohne den göttlichen Lars Stindl mit einer Mannschaft Punkte, die laut der Meinung vieler Fans nicht Bundesliga-tauglich ist?

Darauf gibt es zwei Antworten.

Antwort 1: Wir hatten Glück.

Normales Matchglück, vielleicht eine Prise mehr als üblich.

Fußball bezieht einen nicht unwesentlichen Teil seines Reizes daraus, dass so wenig Tore fallen – und dass daher das Glück eine große Rolle spielt. Eine in allen Belangen unterlegene Frankfurter Mannschaft kann, mit ein paar richtigen Ideen, einem hilfreichen Schiedsrichter und ein bisschen Matchglück für 90 Minuten den mächtigen Todesstern des Südens aufhalten. Zum Vergleich: Im Handball, wo auch das unterlegene Team regelmäßig über 15 Treffer erzielt und wo über 60 Prozent der Torwürfe reingehen, gibt es keine Siege der Underdogs. Nie. Es ist undenkbar, dass ein Abstiegskandidat gegen ein Team wie Kiel ein Unentschieden erzielt. Und 96 unter Frontzeck braucht offenbar gerade das Glück auf, das durch das unfassbare Pech unter Korkut angesammelt wurde: das Wundertor von Kiyo gegen Wolfsburg, der glückliche Elfmeter gegen den HSV, die absurde Schiedsrichterblindheit bei Leons Handballtor. Spiel auf Spiel macht 96 aus wenigen Chancen Tore oder kriegt aus hochkarätigen Chancen des Gegners keinen Gegentreffer, weil das Gehäuse, der Magnetismus des Stadiondachs oder Zieler im Weg stehen. Das ist nicht das „Glück des Tüchtigen“, womit man ja im Fußball eher ein Team charakterisiert, das überlegen spielt und dann aus dem einen mutigen Fernschuss des Gegners kein Tor kassiert, sondern „Vorne hilft der liebe Gott und hinten auch“-Glück. Vielleicht ist es auch spezifisches Frontzeck-Glück, man sollte ihn mal nach den Lottozahlen der nächsten Woche fragen.

Aber wo wir Zieler schon mal erwähnt haben, kommen wir zu…

Antwort 2: Die Mannschaft ist gar nicht schlecht.

Zieler, vermutlich der zweitbeste deutsche Torwart, hat in dieser Saison reichlich Gelegenheit, sein exzellentes Stellungsspiel und seine Klasse auf der Linie zu zeigen. Ohne einen Torwart dieses Niveaus wäre die mäßige Hannoveraner Strafraumverteidigung noch viel häufiger bestraft worden. Aber mal abgesehen von Zieler: 96 hat kein untaugliches Team. Der Kaderwert steht laut Transfermarkt.de auch nach Stindls Abgang bei knapp 60 Millionen, das entspricht in der Liga Platz 11. Damit kann man durchaus um Platz 8 bis 14 spielen. Zum Vergleich: Darmstadts Mannschaft ist gut 20 Mio wert, die von Bremen knapp 52, die vom falschen HSV 55.

Wir halten die Mannschaft allerdings für ungünstig komponiert: Sie hat einen spielschwachen und eher nach, nun, athletischen Gesichtspunkten zusammengestellten Sturm; dazu kommt erschwerend, dass es an einem Spieler fehlt, der für die Position 10 geeignet wäre. Vielleicht könnte das Prib, wenn er daraufhin geschult würde, aber das ist eine ganz andere Diskussion. Jedenfalls erscheinen die kollektiven Erwartungen der niedersächsischen Fans an die Truppe bereits so niedrig, dass man den Atem anhält, wenn Kiyo mal mit Albornoz Doppelpass spielt, wenn Schmiedebach mit einem brillanten Lauf einen Angriff unterbindet, wenn Karaman sich gegen drei Gegner durchsetzt, wenn Zieler einen Unhaltbaren hält. Aber das sollte nicht überraschend sein. Die Mannschaft ist gut genug für die Liga.

Was dem Team zu einem dauerhaften Erfolg fehlt, ist hauptsächlich eine schlüssige Taktik, vor allem auch im Spiel gegen den Ball und im generellen Spielaufbau. Und die Strafraumverteidigung, eine der großen Stärken des Teams unter Korkut, ist signifikant schlechter, obwohl in diesem Mannschaftsteil gar kein Umbruch stattgefunden hat. Aber darüber haben wir uns in den Spielstagsanalysen ausreichend ausgelassen, das soll jetzt nicht wieder aufgewühlt werden.

Die Frage ist: Kann das so weiter gehen? Halten wir uns auf diese Art unter den Top 15, bis dann im Winter Martin Bader die Wunderverpflichtungen einkauft, laut Bild.de einen „Top-Stürmer“, einen Verteidiger und jemanden fürs Mittelfeld?

Wir sagen mal vorsichtig: eher nicht. Die Philosophie Frontzecks, die auf schnelle Außen (wie Bech und Klaus, die ja auf Frontzecks Wunsch gekauft wurden) setzt, auf robuste Stoßstürmer (Erdinc oder Sobiech), die dann unter Umgehung des Zehnerraums mit langen Bällen bedient werden, würde ja bleiben. Und dieses System funktioniert eben so nicht, wie es gespielt wird, mit den ungenügenden Staffelungen, mit dem allzu passiven Pressing. Vermutlich könnte selbst ein Alonso auf der 6 in diesem System das Spiel nicht vernünftig eröffnen, weil ihm die Anspielstationen fehlen. Fußball ist ein Mannschaftssport, auch wenn die Sportreporter oft Einzelleistungen herausheben: Ein Schmiedebach, auch wenn er oft unauffällig spielt, ist mit seinem Spielverständnis als Strukturgeber so wichtig für 96, dass ohne ihn praktisch nicht gewonnen wird.

Und auch jemand wie Dortmunds Aubameyang, der schnell und präzise ist, kann seine Stärken nur ausspielen, wenn das (Gegen-)Pressing ihm Ballverluste des Gegners beschert, damit er seine Durchbrüche starten kann. Wenn der, wie Klaus und Bech, derzeit nur auf Außen Breite geben und auf lange Bälle von Sané hoffen müsste, sähe der auch doof aus. Sogar ohne Batman-Maske.

Okay, aber wie SOLLTE es sein?

Wir alle kennen die Mannschaften, die es schaffen, sich gegen auf dem Papier deutlich überlegene Gegner zu behaupten. Und das regelmäßig, nicht allein mit Matchglück und Beten im Kloster. Das sind stets gut funktionierende Kollektive, bei denen die Leistungsträger oft schon lange zusammenspielen. Das sind Teams, die als Gruppe größer sind als die Summe der Teile. Das hat durchaus etwas mit Moral und Einsatzwillen zu tun, viel mehr aber mit einer zentralen Idee, der alles untergeordnet wird: Mainz unter Tuchel war spielintelligent, sauber und flexibel; 96 unter Slomka war eine Umschaltmaschine; Darmstadt spielt sehr viel konsequenter so, wie 96 offenbar spielen will. Oder denken wir an Streich mit Freiburg oder Weinzierl mit Augsburg – immer wird mit Strategie und Taktik die schwächere Besetzung kompensiert. Diese Mannschaften haben aber nicht nur auf billigere Spieler oder Nachwuchs gesetzt, sondern den Kader sorgfältig auf die Spielidee hin komponiert. Ein schnelles Beispiel: Daniel Baier vom FCA ist der Liebling der Taktikblogs*, spielintelligent, gedankenschnell im Gegenpressing, ein toller Ballverteiler. Augsburg funktioniert ohne ihn signifikant schlechter. Der Mann war in Diensten von Wolfsburg, fiel niemandem so richtig auf, wurde verliehen, wechselte am Ende der Leihe ablösefrei nach Süddeutschland. Seit Marktwert damals: 750.000 Euro. In Augsburg wird er perfekt in der richtigen Rolle eingesetzt, kann sein Spielverständnis gewinnbringend einsetzen, und ist jetzt plötzlich, mit 30 Jahren (!), mit 3,5 Mio mehr wert als Kevin-Prince Boateng.

Was soll dieser Exkurs mit Augsburg? Nun, in Hannover dreht sich die ganze Zeit die Diskussion darum, dass die Mannschaft Spieler benötigt „die uns sofort helfen“, Spieler, die „Scorer-Punkte mitbringen“, Spieler mit bewiesener individueller Qualität. Dabei müssten wir innehalten und hinterfragen, warum die Mannschaft auch mit einfachen Abstimmungsaufgaben derzeit überfordert scheint. Warum eine Mannschaft, die in ganz ähnlicher Besetzung auch in der unglücklichen Rückrunde der letzten Saison in einer ganzen Reihe von Spielen die bessere Mannschaft war, bis jetzt noch in keinem Spiel als verdienter Sieger vom Platz gegangen ist, nicht ein einziges Mal mehr oder wenigstens bessere Chancen als der jeweilige Gegner erarbeitet hat. Nicht mal gegen Hessen Kassel.

Denn eins steht fest: Wenn wir mehr wollen, als Jahr für Jahr glücklich den Abstieg zu vermeiden, dann brauchen wir ein taktisches Gerüst, das auch gegen stärkere Mannschaften Bestand hat, mit perfekt eingeübten Abläufen, mit cleveren Ideen. Das muss zuerst stehen, erst dann kann man Spieler dafür kaufen gehen.

1 Kommentar

  • JaboIbehre sagt:

    Ich teile die Auffassung, dass die Mannschaft so schlecht gar nicht ist, absolut.

    Trotz mehr und mehr kleinerer taktischer Anpassungen in der letzten Zeit scheint die insgesamt untaugliche Spielanlage, die insbesondere aber unsere „intelligenten“ Spieler so leiden lässt, ja aber unumstößlich zu sein.

    Wenn man nun Baders heutige Aussagen hört und dazu noch weiß, dass er seinerzeit beim FCN Frontzeck als Nachfolger Ismaels installieren wollte, dann muss man schon davon ausgehen, dass so schnell am aktuellen Trainer nicht gerüttelt werden wird.

    Trainer und Taktik werden also wohl grundsätzlich noch eine Weile unverändert bleiben. Nur das Glück, das wird uns vermutlich nicht so lange – und so intensiv! – treu bleiben. Wäre das dann Fluch oder Segen…?

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