96 – SC Paderborn 07 1:2

Dreimal (überwiegend) gut gespielt, dreimal nicht gewonnen. Mit dieser oberflächlich betrachtet unerfreulichen Bilanz des Rückrundenstarts empfing Hannover 96 den Aufsteiger aus Paderborn zum letzten Spiel des 21. Spieltags. Im Umfeld wurde zuletzt mehr oder weniger gefordert, anders zu spielen, um zu gewinnen. Das völlig überraschende Ergebnis: Man spielt schlechter und verliert trotzdem. So verliert 96 nach dem Hinspiel also auch die zweite Begegnung gegen Paderborn, die mit ihrem übertriebenden Understatement erreicht haben, dass ihre Spieler teilweise ziemlich unterschätzt werden. Die Gründe für Hannovers Niederlage sind dennoch in anderen Bereichen zu finden.

Grundformationen. Bei Paderborn sind Abweichungen möglich.

Grundformationen. Bei Paderborn sind Abweichungen möglich. Wie zum Beispiel die Trikotfarbe. Alles was blau ist, muss man sich jetzt weiß denken.

Die erste Halbzeit

Es wurde von Beginn an relativ klar, was für ein Spiel den ungeduldigen, grundskeptischen 96-Fan in den folgenden 90 Minuten erwarten würde: Paderborn trat gegen den Ball in einem auf Kompaktheit bedachten, konventionellen 4-4-2 auf und verschob weitgehend konsequent. Die beiden Pressingspitzen waren kaum vertikal gestaffelt und liefen die 96-Innenverteidiger im Spielaufbau nur selten an. 96 startete im Ballbesitz und Spielaufbau mit viel Bekanntem und ein paar kleineren Abweichungen. In der Anfangszeit der Begegnung war oft das gewohnte Zurückfallen Kiyotakes in den linken Halbraum zu sehen, auch Jimmy Briand auf der Gegenseite agierte im Spielaufbau phasenweise etwas zurückgezogen. Der neu in die Startelf berufene Joao Pereira positionierte sich dagegen auffällig hoch. Zusammen mit darauf passend abgestimmten Bewegungen von Stindl und Briand ergaben sich dadurch bei ein paar Überladungen der rechten Seite gute Dreiecke, was 96 insgesamt eine relativ gute Ballzirkulation in dieser Zone ermöglichte. Durch das zurückhaltende Auftreten der Paderborner Stürmer in der ersten Reihe stand Hannover im Spielaufbau kaum unter Druck. Dank eines teilweise noch höher als sonst schon eingreifenden Zieler, der gewohnt breit auffächernden Innenverteidiger und einigen anfangs relativ guten Bewegungen der Sechser kam 96 daher zu viel Ballbesitz und einer stabilen Zirkulation im ersten Drittel.

Bei Pässen auf die Außenverteidiger oder die sich fallen lassenden Offensivakteure griff dann teilweise das gute Zusammenziehen der Paderborner Formation, sodass der Übergang in das Mittelfeld nicht immer reibungslos verlief. Im Laufe des ersten Durchgangs wurde der horizontale Abstand zwischen den Stürmern der Gäste breiter, was die Passwege in die offensiven Halbräume zusätzlich erschwerte. Dank der geringen Abstände zwischen den Paderborner Linien war das direkte Bespielen des Zehnerraums für die Hannoveraner dennoch kaum möglich, sodass 96 immer wieder den Weg über die Flügel mit anschließenden schnellen Verlagerungen suchte. Wenn von dort jedoch der Rückpass auf einen Innenverteidiger erfolgte, gingen die Paderborner Pressingspitzen diesen Zuspielen recht intensiv nach. Sie blieben dann auch kurzzeitig im etwas höheren Pressing, was durch ballnah etwas höher stehende Flügelspieler (meistens Meha links) manchmal leicht asymmetrisch wurde. Trotz des eigentlich ordentlichen Gegenpressings von Seiten der Gäste war es für 96 folglich nach Umschaltsituationen am einfachsten, zielstrebig vor das Tor zu gelangen. Ein paar Ansätze wurden jedoch wie gewohnt nicht konsequent genug ausgespielt. Nach etwa einer halben Stunde wurde 96 im Spielaufbau etwas weniger flüssig, weil die entgegenkommenden Bewegungen der beiden Flügelspieler seltener wurden, und Lars Stindl offensichtlich für mehr Präsenz in der letzten Linie sorgen sollte (womöglich als Reaktion auf die leicht schwankende Durchschlagskraft zuletzt). Paderborn nutzte die zunehmenden Probleme Hannovers im Übergang ins zweite Drittel und presste etwas höher. So ergab sich auch ein höherer Druck auf die Hannoverschen Flügelspieler, was abgesehen von sich häufenden unnötigen Ballverlusten Hannovers zu ein paar wenigen Kontergelegenheiten genutzt wurde. Im Angriffsspiel gestaltete Hannover das Spiel dann am erfolgreichsten und produktivsten, wenn der ballführende Akteur nach innen zog und ein Mitspieler entgegenkam, während ein anderer den Weg in die Tiefe durch die Paderborner Verteidigung wählte. Einer solchen kreuzenden Bewegung entsprang folglich auch die im Ansatz sehr gute Chance für Jimmy Briand nach etwa einer Viertelstunde (herausragender Pass von Stindl zuvor). Außerdem entfachte 96 mit relativ vielen langen oder schnellen Verlagerungen sowie ein paar versuchten langen Bällen hinter die Abwehr Gefahr, was gegen tiefe, kompakte Mannschaften ein probates Mittel darstellt. Grundsätzlich war das Angriffsspiel von 96 in Ansätzen durchaus ansehnlich und auch gefährlich, es fehlte jedoch an einer konstanten Weiterführung der schönen Aktionen oder der konsequenten Fortsetzung der Angriffe nach den – leider zu seltenen – vertikalen Aktionen beim Übergang ins letzte Drittel.

Die Paderborner zeigten zumindest phasenweise ein paar ordentliche Ansätze im Spielaufbau durch gute diagonale Pässe der Innenverteidiger, waren jedoch weitgehend nach Flügelkontern gefährlich und schlugen im Aufbau eher lange Bälle. Zur Vorbereitung der Konter positionierte sich Kachunga beispielsweise etwas zockend, wenn 96 den Ball im letzten Drittel besaß. Die Konter selber wurden allerdings nicht unbedingt linear und schnörkellos ausgespielt, sondern waren auch immer mal wieder vom diagonalen Drang ins Zentrum vor den Strafraum geprägt. Zu den Ausgangssituationen dieser Gegenstöße kam es jedoch nicht immer, da sich das Gegenpressing Hannovers nach Ballverlusten erfreulicherweise wieder verbessert im Vergleich zu den letzten Begegnungen zeigte (dank der klugen, wenn auch teilweise nicht gut balancierten, nachstoßenden Bewegungen von Schmiedebach und Perreira).

Insgesamt dominierte 96 wie zu erwarten war die Begegnung, und konnte den Ball im ersten Drittel bzw. in der eigenen Hälfte mit einer hohen Torwartkette sowie anfangs guten Bewegungen der Offensivspieler problemlos laufen lassen. Mit Ausnahme von vielleicht zehn Minuten nach einer halben Stunde drängte 96 Paderborn in die eigene Hälfte und ließ insgesamt nur wenige, im Ansatz allerdings Paderborn-typisch ordentliche Konterchancen zu. Zwingende Torchancen erarbeitete sich 96 wegen der sehr kompakten Formation und der guten Endverteidigung des Aufsteigers nur selten, zeigte aber mit ein paar stabilen Offensivmechanismen zumindest eine relativ reife Spielanlage und erneut einige schöne Ansätze im Ballbesitz. In den letzten Minuten der ersten Halbzeit trat Paderborn bei den Hannoverschen Abstößen sehr hoch und breit auf, konnte damit die stabile Zirkulation im Aufbau allerdings auch nicht nachhaltig stören. Mit dem torlosen Unentschieden ging es trotz Feldvorteilen für 96 nach einem erwartbaren Spiel in die Halbzeitpause.

Die zweite Halbzeit

Ungefähres Ergebnis der Umstellung Hannovers in der Halbzeit. Man sieht: um Schmiedebach herum ist genug Platz, den Paderborn prinzipiell schon ganz gerne mag. Aber wir wollten ja alle endlich offensiv und mit Raute spielen...

Ungefähres Ergebnis der Umstellung Hannovers in der Halbzeit. Man sieht: um Schmiedebach herum ist genug Platz, den Paderborn prinzipiell schon ganz gerne mag. Aber wir wollten ja alle endlich offensiv und mit Raute spielen…

Der Wunsch der breiten Öffentlichkeit wurde von Tayfun Korkut erhört. Zur zweiten Halbzeit brachte er mit Artur Sobiech für Christian Schulz eine zusätzliche Offensivkraft (weil ja ganz bekannt ist, dass man nur die Anzahl der Offensivakteure erhöhen muss, schon gewinnt man Spiele). Mit diesem Wechsel ging eine aus der Hamburg-Partie bekannte Umstellung auf ein zunächst eher eng und zentrumsorientiert interpretiertes 4-1-3-2 einher, bei der lediglich Lars Stindl die Instabilitäten im Zentrum gelegentlich zu reparieren versuchte. Ein paar gelungene Kombinationen durch das Zentrum folgten, jedoch wurde ebenso sehr früh ersichtlich, welch großes Risiko der Systemwechsel mit sich brachte. Die defensiven Halbräume um den Solo-Sechser Schmiedebach herum waren nach Ballverlusten völlig verweist, was den Paderbornern mit der Neigung zu Kontern über die Außenbahnen nicht gerade ungelegen kam. Paderborn nutzte die Hannoversche Instabilität als Folge der Umstellung auch recht zeitnah, indem beispielsweise der nun breit stehende Kachunga als Anspielstation nach Balleroberungen diente und auch diese Schwäche des Hannoverschen Systems bespielte.

Abgesehen von den Vorteilen bei schnellen Kombinationen durch die Mitte bestätigte sich zudem, dass die Vorteile einer Raute (unter anderem die dynamische Besetzung der Flügelräume) mit Hiroshi Kiyotake auf der Halbposition mangels Dynamik nicht genutzt werden können, sollte dies aber wohl auch nicht. Wie bereits in der Schlussphase des Auswärtsspiels beim Hamburger SV zu sehen, kippte Manuel Schmiedebach im Spielaufbau zentral zwischen die beiden Innenverteidiger ab und sollte als Ballverteiler für die flexibel die Räume besetzenden Offensivspieler vor ihm fungieren. Dabei übertrieb es 96 jedoch teilweise wieder mit zu viel Präsenz in der letzten Linie, was eine zunehmend schlechte Verbindung der Mannschaftsteile zur Folge hatte. Auch die Abstimmung der Laufwege oder generell der Aufgabenverteilung zwischen den beiden Stürmern schien nicht wirklich optimal, sodass 96 zwar offensiv zahlreich vertreten war, diesen „Vorteil“ spielerisch aber nicht wirklich nutzen konnte.

Ein schneller Gegenstoß der Gäste über die linke Seite resultierte beinahe in der Paderborner Führung, Miiko Albornoz konnte den Ball jedoch im letzten Moment von der Linie kratzen. Nachdem Jimmy Briand, der auch alles andere als ein geeigneter Halbspieler für eine Raute ist, für Leonardo Bittencourt (von dem man ähnliches behaupten kann) vom Feld genommen wurde, fiel hingegen nach einem Freistoß aus dem Halbfeld der Führungstreffer für 96. Die Paderborner stellten mit Wechseln ebenfalls um und traten in der Folge verstärkt mit höheren Pressing in 4-3-3-Formationen auf, die sich wie bereits in ein paar Situationen in der ersten Halbzeit durch ein mannorientiertes Zugreifen im Zentrum in einem 4-1-3-2 oder 4-3-1-2 ausdrückten. Bei den sich nun etwas häufenden Kontergelegenheiten nutzten die Paderborner ihre ballfern breitere Staffelung, und konnten auch dank des eingewechselten Rupp die zentrale Instabilität Hannovers mit Verlagerungen und Nachrücken zu ihren Gunsten nutzen. Kachunga ließ sich gelegentlich ebenfalls ins Zentrum fallen, was Sané durch unnötiges Verfolgen noch gefährlicher machte. So kam die Elf von Andre Breitenreiter zunächst zum Ausgleich durch den eingewechselten Lakic, der trotz Unterzahl im Strafraum nach der ersten brauchbaren Flanke des Tages wenige Minuten nach der 96-Führung einnicken konnte. Wenige Minuten später verwandelte Meha einen direkten Freistoß aus der Distanz, sodass Paderborn das Spiel endgültig gedreht hatte.

Die Schlussphase der Begegnung brach an, Paderborn zog sich logischerweise weit zurück und trat nun wieder im 4-4-2 auf. 96 war zwar noch um einen einigermaßen konstruktiven Spielaufbau mit kontrolliertem Passspiel bemüht, die inkompetente Ungeduld übertrug sich jedoch von den Rängen zunehmend auf den Platz. Im zweiten Drittel wurde 96 überhasteter, blieb gegen ein im Zentrum massiertes Paderborn ohne wirkliche Durchschlagskraft und zeigte konsequenterweise noch viele schlechte Flanken. Bis zum Abpfiff erzeugte Hannover so nur wenig Gefahr.

Fazit

Hannover wollte das 4-4-2, Hannover bekam es. Hannover wollte damit offensiv spielen und gewinnen, gab aber die Stabilität auf und spielte Paderborn in die Karten. Andre Breitenreiter passte wie gewohnt während des Spiels recht sinnvoll an, sodass Hannover trotz mehr Offensivpräsenz und nach wie vor ein paar gelungenen Kombinationen in der zweiten Halbzeit (vor allem über Kiyotake und Stindl) erst den Sieg und dann auch das Remis vergab. Zuvor war Hannover zwar spielbestimmend, fand aber zu wenige druckvolle Angriffe gegen sehr kompakte, defensiv stabile Gäste aus Paderborn, die mit zunehmender Spielzeit immer öfter ihr gewohntes Konterspiel aufziehen konnten. So sorgen zu hohe Erwartungen und das Unterschätzen eines sich selbst bei jeder Gelegenheit schlecht redenden Gegners auf Seiten der Öffentlichkeit, gepaart mit einer unnötigen Destabilisierung der eigenen Mannschaft zu schlechter Stimmung in Hannover – kennt man kaum anders. Spielerisch zeigte Hannover nicht seine beste Leistung, die Paderborner konnten allerdings auch ihr bevorzugtes, eher schlichtes Spiel kompromisslos durchziehen und siegen letztlich auch dank eines nicht alltäglichen Freistoßtreffers. Aber klar, es lag natürlich hauptsächlich an den kurz ausgespielten Ecken. Das kann ja nichts werden, früher hat das schließlich keiner gemacht.

Spieler des Spiels: Joao Pereira

Gute Ballbehandlung, interessante Passmuster, sehr schöne diagonale Wege im letzten Drittel, die Suche nach spielerischen Lösungen und defensiv mit ein paar Ausnahmen mit klugem Stellungsspiel und überwiegend klaren Aktionen – das Startelfdebut des portugiesischen Neuzugangs hätte schlechter laufen können. Besonders in der ersten Halbzeit überzeugte er als Bestandteil der guten Offensivkombinationen und zeigte insbesondere im Gegenpressing eine sehr mutige – wenn auch riskante und teilweise dadurch für die eigene Mannschaft gefährliche – Tendenz zum offensiven Zugriff. In der zweiten Halbzeit flankte er zu viel, vor allem zu früh, und trug damit zur unansehnlichen Schlussphase bei; der gute Eindruck aus dem ersten Durchgang überwiegt dennoch. Manuel Schmiedebach war ebenfalls ziemlich gut, Salif Sané größtenteils ärgerlich. Lars Stindl zeigte viel, aber oft auch weniger als in seinen besten Auftritten gegen Ende der Hinrunde. So bleibt am Ende zu hoffen, dass sich der Schlüsselspieler wieder fängt und Pereira die vielversprechenden Ansätze aus seinen ersten beiden Auftritten bestätigen kann.

 

4 Kommentare

  • Erdmännchen sagt:

    Wenn die ganzen Schreiber der letzten Woche(n) (von mir aus nur der Artikel in den Zeitungen), die den Verantwortlichen unaufhörsam reingequatscht haben, mal wirklich ihre eigene Inkompetenz hinterfragen würden, wäre ein Anfang ja gemacht. Aber was durfte man heute in der NP (warum auch immer wir das Teil zu Hause liegen haben) lesen? „Muss Korkut das System ändern?“ Als normal denkender Mensch fühlt man sich hier doch nur noch verarscht. Aber eigentlich kein Wunder. In Zeiten von „Experten“ wie Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg fühlt sich natürlich auch jeder Hinz und Kunz auf gleichem Niveau berufen, sinnloses Zeug zu plappern. Es nervt mittlerweile nur noch…

    • Jaime sagt:

      Ja, es tut beim Lesen weh. Heute habe ich widerstehen können und nichts von dem Mainstream-Mist gelesen. Ist ganz gut, solltest du ausprobieren ;).
      Ich hoffe jetzt einfach, dass Schatzschneider schweigt, Kind ruhig bleibt und Korkut mit seinem Team ganz normal weiterarbeitet. Wenn wir aber jetzt „den Abstiegskampf annehmen“ sehe ich eher schwarz. Wobei es mich nicht wundern würde, sollten wir ab jetzt wieder unambitionierter und schlechter spielen und auf einmal gewinnen. Scheint momentan ja in Mode zu kommen…

      • Nur gemeinsam gehts sagt:

        Ich bin habs mir die volle Dröhnung gegeben. Offizielles Forum, Bildzeitung, Offizieller Youtubekanal und Transfermarkt (da wurde ich aber schnell durch rationales Argumentieren und Optimismus wieder nüchtern).
        Jetzt hab ich noch niemalsallein.de und toorschuss.de abgeklappert und bin sowas von positiv ernüchtert, dass nicht alles blinde Polemiker, Schwarzmaler und hämische Pessimisten sind

  • Nur gemeinsam gehts sagt:

    Ich brauch den nächsten Fix und geh erstmal ins offizielle Forum, sonst werd ich morgen noch zu gut gelaunt sein.

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