Hertha BSC Berlin – 96 0:2

Den 11. Spieltag der diesjährigen Bundesliga-Hinrunde eröffnete Hannover 96 mit seinem Auswärtsspiel am Freitagabend in Berlin. Die gastgebende Hertha zeigte sich bisher durchaus heimstark, oft wurde ihnen jedoch von den jeweiligen Gegnern gestattet, durch schnelle Konter zum Abschluss zu kommen. So war von 96 ein bisschen „Angsthasenfußball“ zu erhoffen.

Dementsprechend griff Tayfun Korkut wieder auf Ceyhun Gülselam, der seine Sperre abgesessen hatte, als Nebenmann von Manuel Schmiedebach im defensiven Mittelfeld zurück. Zur Erinnerung: nachdem im Heimspiel gegen Hamburg zwar die Offensive gut funktionierte, aber die Anfälligkeit für Konter der Hanseaten sehr hoch war, sorgte Gülselam als einer der Faktoren für die im darauf folgenden Spiel beim VfB Stuttgart defensivtaktisch sehr gute und vor allem in der ersten Halbzeitenorm überzeugende Darbietung Hannovers. Auf den (wie so häufig bei taktisch guten Sechsern) öffentlich unterschätzten Gülselam zu setzen war angesichts der Berliner Stärken also eine logische taktische Anpassung. Abgesehen davon musste aber natürlich wie immer auch noch unfreiwillig umgebaut werden: Stefan Thesker ersetzte wie in der Schlussphase gegen Frankfurt als Linksverteidiger Edgar Prib.

Grundformationen. Dass Kalou im Abseits steht, ist kein Versehen…

Die erste Halbzeit

In der Anfangsphase gab es nicht wie bisher oft gesehen frühen Druck auf den gegnerischen Spielaufbau bei 96 zu erkennen, das Bestreben um die defensive Absicherung gegen den zockenden (sehr hoch stehenden) Kalou war immer wieder deutlich zu sehen. Gegen den Ball agierte 96 wie immer im 4-4-1-1, Hiroshi Kiyotake rückte leicht versetzt hinter Joselu auf. Teilweise konnte meistens durch Schmiedebach ein jagendes Anlaufen ausgemacht werden, wenn die Berliner im Mittelfeld nicht voran kamen und den Ball zurück spielten. So provozierte 96 immer wieder unkontrollierte lange Bälle der Herthaner. Auch im Berliner Spielaufbau stach Schmiedebach bekanntermaßen immer wieder aus der Formation, um den Spielaufbau durch den Berliner Sechserraum abzuwürgen. Die 96-Abwehr stand etwas tiefer als gegen Frankfurt, dafür war aber auch erneut eine höhere Kompaktheit der Defensivformation zu verzeichnen. Ceyhun Gülselam balancierte Schmiedebachs Herausstechen aus der Formation und trat insgesamt erneut sehr umsichtig und absichernd auf. Zusammen mit Marcelo und Christian Schulz sorgte er zudem über die gesamte Spielzeit für die Lufthoheit bei langen Bällen ins Zentrum.

Hertha staffelte sich im Ballbesitz meistens recht klar im 4-2-3-1, hatte aber nur wenige planvolle Aufbauszenen zu verzeichnen und spielte daher frühzeitig lange Bälle. In Ansätzen war der Versuch zu erkennen, relativ direkt auf den (rechten) Flügel zu spielen und Kalou direkt hinter die Abwehr zu schicken, der sich permanent an der Grenze zum Abseits aufhielt. Ansonsten lag bei den Berlinern das Augenmerk recht klar auf dem Umschalten aus dem Mittelfeld heraus, auch dabei dominierten eher lange Passwege und sehr direkte Aktionen, die allesamt sehr auf Salomon Kalou fokussiert waren. Gelegentlich wurde er dabei vom ein- und aufrückendenden Stocker unterstützt, insgesamt konnte Hertha aber gegen die wie immer sehr disziplinierte, kompakte und robuste Endverteidigung der Hannoveraner nahezu keine Durchschlagskraft entwickeln.

Im Ballbesitz trat 96 mit quasi umgekehrtem spielerischem Ansatz im Vergleich zu den bisherigen Partien auf. Anstelle des beispielswiese gegen Hamburg und Köln gesehenen kombinativen Linksfokus‘ konzentrierte sich die Mannschaft von Tayfun Korkut in dieser Partie im Ballbesitzspiel deutlich auf die rechte Spielfeldhälfte. Auf der linken Seite dominierten hingegen geradlinigere Aktionen, die vom recht offensiven Thesker unterstützt wurden (aber immer dosiert und nur bei offener Staffelung). Die Kombinationswege auf der rechten Seite wurden möglichst klein gehalten und eine recht passende vertikale Tiefenstaffelung war oft gegeben. Die Überladungen auf dem rechten Flügel wurden durch Kiyotake (analog zur Umkehr des Kombinationsfokus‘ auch er mit einer unüblichen Rechtstendenz), dem immer wieder diagonal aufrückenden Schmiedebach und dem recht umtriebigem Jimmy Briand gewährleistet. Um Anbindung an das Passspiel zu finden hielt Joselu seine Position konsequenter und reduzierte sein bekanntes Driften nach links. Der immer wieder sehr offensivstarke Hiroki Sakai und gelegentlich auch der weit einrückende Leo Bittencourt boten auch immer wieder die Option, aus den lokalen Kombinationen das Spiel in die Tiefe (Sakai, Joselu) und in die Breite (Bittencourt, seltener Schmiedebach) zu verlagern. All diese Offensivbemühungen wurden abgesichert durch den beständig tiefer agierenden Ceyhun Gülselam, der bei Bedarf allerdings auch mit nach vorne schob und so den Umschaltversuch der Berliner im Keim zu ersticken versuchte (hin und wieder auch mit einem kleinen Foul). So war 96 in der Offensive in einigen Szenen über rechts durchaus gefährlich, wenn Ball nicht zu frühzeitig hoch in den Strafraum gespielt wurde. In einigen Situationen blieb eine solche Hereingabe aus dem Halbfeld jedoch an der Berliner Abwehr hängen. In der Folge waren das zweite Drittel und der linke Hannoversche Flügel logischerweise etwas zu offen, sodass die Herthaner diese Räume im Umschalten zu bespielen versuchten. Nach etwa 20 Minuten des Spiels geriet die Absicherung auf Seiten Hannovers etwas (nicht viel, aber ein bisschen) zu nachlässig und die defensiven, ballfernen Staffelungen ein wenig zu gestreckt, sodass Hertha immer mal wieder mit einigen Konteransätzen aufwarten konnte. Es entstand so zwar der Eindruck, Berlin käme etwas besser ins Spiel, Gefährliches entsprang diesen Ansätzen jedoch quasi nie.

Gegen den Ball agierte Berlin etwas vielfältiger. Gegen den tiefen Spielaufbau Hannovers griffen sie oft auf kurzlebige, abwartende 4-1-4-1-Staffelungen zurück, das durch eher individuelles Herausrücken von Stocker und seltener Haraguchi auf den ballführenden Innenverteidiger zum 4-4-2 wurde. In anderen Phasen störten sie den Aufbau Hannovers etwas früher und traten dabei in einem leicht asymmetrischen 4-1-3-2 auf, das allerdings keine Raute bildete. Grundsätzlich war immer entweder Hosogai oder Skjelbred etwas tiefer als der restliche Mittelfeldverbund, sodass nur selten klare Anordnungen von vier Akteuren auf einer Linie im Mittelfeld zu sehen waren. Die unterschiedlichen Formen der Tiefenstaffelung wurden dabei vor allem durch recht stark ausgeprägte Mannorientierungen im Mittelfeld hervorgerufen, sodass immer wieder leicht verschobene und versetzte Staffelungen die Folge waren. Aus diesen Anordnungen verschob Hertha relativ gut zum Ball, doch erhielt nicht immer den gewünschten Zugriff, weil 96 den Ball entweder lang und hoch, oder flach und kurz, aber immer möglichst schnell nach vorne zu spielen versuchte.

Ballbesitz 96 mit Rechtsfokus (meistens). Schmiedebach kippte eher selten ab, vor allem in der zweiten Halbzeit kaum noch. Wäre auch nicht immer sinnvoll gewesen, weil ein Berliner wahrscheinlich mitgegangen wäre. Besonders auffällig waren die unterschiedlichen Vertikalstaffelungen bei Berlin, hervorgerufen eben auch durch die Mannorientierungen. Es kam dann oft ein langer Ball oder ein anderweitig recht direktes Spiel ins zweite Drittel, wo dann kombiniert werden konnte.

Die erste Halbzeit des Spiels war insgesamt geprägt von vielen langen Bällen, zahlreichen Zweikämpfen im Mittelfeld und einem relativ zerfahrenen Rhythmus geprägt. 96 war immer um eine gute Absicherung der eigenen Angriffe bedacht, ließ in dieser Hinsicht nach etwa 20 Minuten etwas nach und ließ die Herthaner so scheinbar etwas besser ins Spiel kommen. Eine positive Folge des bedachten Aufrückens der Hannoveraner war zudem, dass der Großteil der zweiten Bälle an sie ging und die Konter der Heimmannschaft so kaum einmal in Gang kommen konnten. Die Berliner ihrerseits trugen mit inspirationslosem Ballbesitzspiel und überharter Zweikampfführung einen großen Teil zu einem eher unrhythmischen Spiel bei und kam so durch viele verlorene Zweikämpfe und zweite Bälle kaum in die Partie. In der Offensive zeigte Hannover einige gute und ungewohnte Ansätze, konnte aber wegen zu früh gespielter Hereingaben in den Strafraum nur selten Durchschlagskraft entwickeln. So fiel die Führung erneut nach einem Standard zum leistungsgerechten Zwischenstand.

Die zweite Halbzeit

Nachdem die beiden Mannschaften unverändert den Platz betraten, blieb der in der ersten Halbzeit schon offensichtliche Rechtsfokus im Ballbesitzspiel auf Seiten von 96 bestehen, und führte direkt zu einer sehr gut herausgespielten Chance durch den erneut sehr weit eingerückten Leo Bittencourt.

Hertha versuchte, mit einer leichten Anpassung der Besetzung des Sechserraums im Spielaufbau und etwas tiefer stehenden Außenverteidigern, das Spiel etwas besser zu strukturieren. Die Folge waren zunächst auch minimale Verbesserungen im Spielaufbau, aber nach wie vor streuten die Innenverteidiger sowie Torwart Kraft viele frühzeitig gespielte lange Bälle ein und die Angriffbemühungen blieben sehr auf Kalou fokussiert. Nach ein paar Minuten kam für Valentin Stocker der Freistoßspezialist Ronny und übernahm dessen Position. Dadurch trat allerdings wieder eine Verschlechterung des Ballbesitzspiels der Berliner ein und die Aktionen nach vorne wurden wieder schlichter. Es war immer mal wieder der Versuch zu beobachten, über die rechte Hannoversche Seite mit einem weit aufgerückten Außenverteidiger anzugreifen, aber vor allem wegen Manuel Schmiedebach, der wie immer viel auf den Flügeln unterstützte, blieben diese Ansätze quasi folgenlos.

96 auf der anderen Seite bestach mit einer noch intelligenteren Dosierung der eigenen Angriffe bzw. des eigenen Aufrückens, sodass im Ansatz durchaus gefährliche Umschaltversuche zu verzeichnen waren, die recht direkt in die Spitze getragen wurden. Die teilweise sehr ansehnlichen kurzen Kombinationen über die rechte Seite wurden wie in der ersten Halbzeit gesehen fortgesetzt und auch so konnte 96 einige entlastende und durchaus gefährliche Nadelstiche setzen. Dabei war immer wieder gut zu sehen, dass aus der kompakten Grundstellung heraus die Anzahl und Höhe der nachrückenden Spieler von der Offenheit der Räume in Ballnähe abhing. So ergaben sich für 96 noch weniger Probleme mit den Umschaltversuchen der Berliner, da die stabile Absicherung der eigenen Offensivbemühungen nur aufgegeben wurde, wenn es das Raumangebot und die Anzahl der ballnahen Mitspieler zuließen. Einer solchen Szene entsprang dann auch das 2:0 für Hannover, nachdem Joselu den Ball gewann, Gülselam und Bittencourt schnell aufrückten, letzterer den Ball aufsammelte und Hiroshi Kiyotake in den freien Raum halbrechts schickte.

Die Einwechslung des endlich wiedergenesenen Lars Stindl führte zu kurzzeitigen 4-3-3/4-1-4-1-Staffelungen, da Stindl generell engen Kontakt zu den Sechsern bei gegnerischem Ballbesitz hielt. Hiroshi Kiyotake rutschte kurzzeitig auf den linken Flügel, wurde danach aber positionsgetreu durch Artur Sobiech ersetzt. Hertha wurde in der Schlussphase noch ungeduldiger, prallte aber immer wieder an der gewohnt starken Endverteidigung und den sehr geschickten Mittelfeldspielern von 96 ab.

Fazit

96 war defensiv deutlich besser als die fehleranfälligen Berliner, agierte kompakter und disziplinierter und erarbeitete sich in der zerfahrenen ersten Halbzeit durch die Mehrzahl der gewonnen Zweikämpfe und zweiten Bälle ein spielerisches Übergewicht. Die eigenen Angriffe waren wegen der Berliner Konterstärke bis auf Phasen im ersten Durchgang immer sehr gut abgesichert, sodass die Gastgeber im Spielaufbau an sich selbst und in der Offensive an 96 scheiterten. So war 96 in allen Belangen besser als der Gegner und zeigte mit ungewohnter Rollenverteilung auch im Ballbesitzspiel ein paar sehr schöne spielerische Ansätze, wenngleich es beim tiefen Spielaufbau nach wie vor etwas holperte. Nichtsdestotrotz bot 96 eine durch und durch solide Leistung und konnte defensiv ungefährdet sowie offensiv mit guten Ansätzen und einem Tor aus dem Spiel heraus drei Auswärtspunkte vor der Länderspielpause einfahren.

Spieler des Spiels: Manuel Schmiedebach – hört nicht auf

Hiroshi Kiyotake überzeugte in einer etwas ungewohnten Rolle vollends, war an vielen Kombinationen auf engem Raum beteiligt, bot allerdings auch immer wieder die Möglichkeit des langen Passes in die Tiefe an. Auch im offensiven Umschalten hielt er sich schadlos und konnte seine technischen Qualitäten bei seinem Tor zum wichtigen 2:0 zeigen. Dennoch war für die Stabilität der Mannschaft als ganzer Manuel Schmiedebach von nicht weniger großer Bedeutung. Wie gewohnt waren seine unterstützenden Läufe auf den Flügel sowie seine zugriffsorientierten Läufe in den gegnerischen Sechserraum hinein sehr wichtig für die defensive Struktur der Mannschaft. Zudem trat er in der Offensive stark in Erscheinung und öffnete mit diagonalen Läufen in die Tiefe immer wieder Räume für Hiroki Sakai und Hiroshi Kiyotake und war selbst in kurzen Kombinationen im Angriffsdrittel gut eingebunden. Kurz: er machte eigentlich alles, und dabei ziemlich viel richtig. Sein kluges, dosiertes Nachsetzen nach Ballverlusten dort trug zusammen mit Gülselams bekannten Stärken in der Antizipation dazu bei, dass die Berliner ihre Stärke kaum ausspielen konnten, sodass am Ende ein souveräner Auswärtssieg der Roten steht.

2 Kommentare

  • Manuel Schmiedebach, der Dirigent aus der Defensive, der Terrier des Mittelfelds und der Oberindianer Hannovers.

    Sehr schöner Artikel.Hat meine Meinung über Schmiedebach und Gülselam bestätigt. Allerdings auch meine falschen (zu schlechten) Wahrnemungen zu Joselu und Sakai revidiert.

  • Danke.
    Dirigent ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, aber er war natürlich in den letzten Wochen im Spielaufbau recht präsent, von daher lasse ich das mal gelten ;). Vor allem seine Unterstützung auf den Flügeln, sowohl beim Überladen in der Offensive zusammen mit Sakai und Kiyotake, als auch beim Doppeln auf dem Flügel in der Defensive, ist einfach ziemlich wichtig. Und jeder, der Gülselam nicht auf den ein oder anderen unglücklichen Pass (wobei das auch nur einen kleinen Teil seiner Ballaktionen betreffen dürfte) reduziert, läuft bei mir offene Türen ein. Um nicht zu sagen: liegt richtiger als die anderen.

    Joselu hat schonmal besser gespielt als gestern, aber es ist trotzdem wichtig ihn als Entlastungsoption nach den kurzen Kombinationen und als Zielspieler für lange Bälle zu haben. Sakai ist jetzt in den letzten Spielen immer ein bisschen offensiver und auch teilweise effektiver geworden, mal schauen ob sich diese Tendenz fortsetzt (wobei es gegen Leverkusen nur teilweise ratsam wäre, dazu schreibe ich in der Länderspielpause wohl noch was).
    Aber „richtige Wahrnehmungen“ gibt es glaube ich nicht, alles eine Frage der kontextabhängigen Interpretation 😉

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