VfB Stuttgart – 96 1:0

Drei Tage nach dem Heimsieg gegen den 1.FC Köln reiste Hannover 96 zum Auswärtsspiel nach Stuttgart. Der bis dahin sieglose VfB konnte in seinem vorherigen Auswärtsspiel in Dortmund vielversprechende Ansätze im Offensivspiel aufzeigen und lag bis kurz vor Spielschluss nicht unverdient in Führung. 96 auf der anderen Seite zeigte gegen Köln phasenweise Probleme, den Ballbesitz konstant durchschlagskräftig in das letzte Drittel zu bekommen. Welche Tendenz setzt sich fort und wie stellt Tayfun Korkut seine Defensive gegen die neuerdings sehr flexiblen (Armin Veh nennt es “Chaos“) Stuttgarter ein?

96 begann – wie immer – mit einer veränderten Startformation. Vor Weltmeister Ron-Robert Zieler bildeten Miiko Albornoz, Christian Schulz, Marcelo und Hiroki Sakai wie gewohnt die Viererkette. Im Mittelfeld agierten mit Ceyhun Gülselam, Leon Andreasen und dem wiedergenesenen Manuel Schmiedebach drei Spieler das Zentrum, die nominell auf der Sechserposition beheimatet sind. Auf den Flügeln begannen rechts Leo Bittencourt und links Hiroshi Kiyotake hinter dem einzigen Stürmer Joselu. Zum vermutlich ersten Mal in seiner Bundesligageschichte begann Hannover 96  mit einer 4-1-4-1-Formation von Beginn an in ein Pflichtspiel.

Die Heimmannschaft begann mit ebenfalls leicht veränderter Anfangself. An Stelle von Sven Ulreich begann Thorsten Kirschbaum im Tor der Schwaben. Vor ihm verteidigten Gotoku Sakai, Antonio Rüdiger, Daniel Schwaab und Florian Klein rechts. Die Stuttgarter agierten wie zuletzt in Dortmund im 4-3-2-1-„Tannenbaumsystem“, dessen Dreierreihe von Moritz Leitner, Carlos Gruezo und Oriol Romeu besetzt wurde. Im offensiven Mittelfeld bot Armin Veh Christian Gentner und Daniel Didavi hinter der nominellen Spitze Timo Werner auf.

Grundformationen. Bei den Stuttgartern gab es vor allem in der ersten Halbzeit nicht diese Positionstreue, sodass es da einige Abweichungen gibt. Aber immerhin sieht man, wer alles auf dem Feld stand. Normalerweise sind viele Orientierungspfeile ja gut, bei Stuttgart waren es aber ausnahmsweise mal zu viele.

Die erste Halbzeit

Das auffälligste an der ersten Halbzeit war mit Sicherheit das Hannoversche Defensivverhalten. Wie bereits erwähnt ging 96 erstmals in einer 4-1-4-1-Formation ins Spiel. Diese Staffelung wurde bei gegnerischem Ballbesitz aufrecht erhalten. Abgesehen von den ersten fünf Minuten, in denen einige Spieler offensichtlich ein paar Probleme mit der Systemumstellung hatten, war das verblüffende, mit welch harmonischer Abstimmung das neue System umgesetzt wurde. Die aufeinander abgestimmten Bewegungen in verschiedenen Spielsituationen wurden in der gesamten ersten Halbzeit fast ausnahmslos sehr sauber durchgeführt.

Die beiden Achter (die es mit dieser Bezeichnung im 4-1-4-1/4-3-3 im Gegensatz zum 4-2-3-1 tatsächlich gibt) stießen abwechseln aus der Formation hervor und liefen den ballführenden Innenverteidiger der Stuttgarter an (Schmiedebach den rechten IV der Stuttgarter, Andreasen den linken). Sie taten dies nicht übertrieben intensiv, aber relativ direkt. Der Zeitpunkt des Lösens aus der Formation lag dabei oft bereits in dem Moment, in dem der Ball zum jeweiligen Innenverteidiger gespielt wurde. Auf diese Weise wurde der Stuttgarter zwar nicht zum sofortigen Abspielen gezwungen, doch ihm wurde durch das Anlaufen aus dem Halbraum heraus der Passweg ins Zentrum und diagonal auf den Flügel versperrt. Das Anlaufen der Achter wurde durch einen im Pressing zurückhaltenden Joselu unterstützt, dessen Aufgabe darin bestand, den Sechserraum der Stuttgarter zu besetzten und Anspielstationen dort zuzustellen. Dieses Ziel wurde durch die Folgebewegungen des jeweils anderen Achters sowie des alleinigen Sechsers Gülselam abgesichert. Zeitgleich mit dem Anlaufen des Stuttgarters durch Schmiedebach ließ sich Andreasen im ballfernen Halbraum neben Ceyhun Gülselam fallen. Gemeinsam orientierten sie sich nun in Richtung des Balles und hielten dabei einen recht engen Abstand zueinander. Dadurch spannten sie ihren Deckungsschatten (der Bereich im Rücken eines Spielers, den er aus Sicht des ballführenden Gegners verdeckt und somit nicht direkt bespielbar ist) immer wieder ballorientiert in das Zentrum des Spielfeldes gerichtet auf. Lief Andreasen „seinen“ Innenverteidiger an, führte Schmiedebach die gleiche Bewegung durch und agierte leicht verschoben auf einer Höhe mit Gülselam. So pendelten Schmiedebach und Andreasen gewissermaßen immer an ihren ballführenden Gegenspielern orientiert zwischen einer vorübergehenden Position auf der Doppelsechs und dem Zustand als zweithöchstem Spieler. Die Absicherung dieses Verhaltens wurde auch durch situative, eher lose Mannorientierungen im Zentrum hinter ihnen gewährleistet.

Anlaufmechanismus durch die beiden Achter. Wie man das im 4-1-4-1 eben so macht, aber da es wohl das erste Mal in der Geschichte von 96 war ist es ja erwähnenswert. Meistens musste Schwaab direkt wieder zu Rüdiger spielen, in der Zeit pendelten Schmiedbach und Andreasen wieder zurück und das Spiel ging andersrum von vorne los. Hin und her. Und immer sauber durchgeführt, was ein bisschen überraschend war. Mit zunehmender Spielzeit kippte Leitner in diese Position, dann verschob 96 eher im 4-5-1 ballorientiert und lief ihn kaum an. Die hohen Stuttgarter AV wurden so oft gesucht.

Die beiden Flügelspieler im Mittelfeld reagierten ebenfalls auf die Bewegungen dieses zentralen Dreiecks: Auf der jeweils ballfernen Seite positionierten sich Kiyotake oder Bittencourt recht tief und hängten sich gewissermaßen an die situative Doppelsechs. Mit dem etwas tiefer agierenden Joselu ergaben sich so kurzlebige 4-3-2-1- oder 4-4-2-Staffelungen bei gegnerischem Ballbesitz. Mit dieser keilförmigen Anordnung wurden die Stuttgarter zum frühen Spiel auf die Flügel gelenkt. Ergänzt wurde diese sehr ansehnlich ausgeführte Variation des Defensivverhaltens durch eine individuell sehr geschickte, aber dennoch robuste Zweikampfführung nahezu aller Spieler (Zweikampfbilanz: 58,2 % pro 96). So gab es in der ersten Halbzeit nahezu kein Durchkommen für die Stuttgarter aus dem tieferen Spielaufbau heraus. Insgesamt stand 96 bei gegnerischem Ballbesitz ein gutes Stück tiefer als in der Mehrheit der bisherigen Spiele, erzeugte durch generell recht tiefe Flügelspieler und durch Joselus Aufgabe aber erneut eine recht hohe Kompaktheit. Die gleichzeitig vor allem durch die Achter und den Sechser erzeugte Flexibilität bzw. Beweglichkeit der Defensivformation eliminierte wichtige Passwege der Stuttgarter im Aufbauspiel, sodass 96 das Spiel in diesen Phasen weitgehend im Griff hatte, ohne den Ball selber zu benötigen. Im ersten Spielfeldrittel wurde Stuttgart nicht unter großen Druck gesetzt, beim Übergang ins zweite wurden ihnen jedoch Zeit und Raum verknappt. So kamen am Ende des Spiels auch die beiden Stuttgarter Innenverteidiger wenig überraschend auf die mit Abstand meisten Ballkontakte.

Die Heimmannschaft reagierte auf diese Spielweise Hannovers nach einiger Zeit. Insbesondere Carlos Gruezo und immer öfter auch Moritz Leitner kippten aus ihren Positionen ab und boten sich recht tief und relativ weit außen als Passempfänger an. Seltener kam Romeu in zentralen Positionen den Innenverteidigern entgegen (in diesen Situationen wartete 96 übrigens manchmal im engen 4-1-4-1 darauf, dass wieder ein Innenverteidiger an den Ball kam). Im offensiven Mittelfeld war das Stuttgarter Spiel in der ersten Halbzeit von einer enormen Flexibilität geprägt. Die Spieler wechselten sehr oft und spontan ihre Positionen, besonders Daniel Didavi und Moritz Leitner stachen dabei besonders hervor. Die Außenverteidiger Klein und Sakai schoben teilweise extrem weit in die gegnerische Hälfte (fast bis auf Höhe der Hannoverschen Viererkette), die Offensivspieler versuchten in wechselnden Anordnungen enge Staffelungen mit vielen Anspielstationen in der Nähe des Balls zu erzeugen. Bei all diesen vielen kurzen Positionswechseln kam Christian Gentner die Aufgabe zu, balancierend zu wirken. Timo Werner als nominell einziger Stürmer driftete sehr oft weit nach links. Die Kehrseite dieses gewollten Chaos‘ war jedoch, dass es manchmal nicht gelang, gleichzeitig genügend Präsenz in der offensiven Reihe herzustellen. So konnten die Schwaben teilweise auch durch eigenes Verschulden in der ersten Halbzeit nahezu keine Durchschlagskraft erzeugen. Sie behalfen sich immer wieder mit hohen Bällen auf die Flügel, wo sie die wie erwähnt sehr hohen Außenverteidiger als Zielspieler suchten. Diese wurden von Gentner und Didavi flexibel zu unterstützen versucht, durch das bekannte disziplinierte ballorientierte Verschieben gelang es 96 jedoch eigentlich immer, frühzeitig in Überzahl zu kommen. Diese Überzahl wurde auch durch die wie gesagt recht tiefen Flügelspieler Hannovers erzeugt. Einmal jedoch gelang dies auf der linken Seite der 96er nicht, sodass die größte Chance der Stuttgarter im ersten Durchgang einer 1gg1-Stutation nach langem Ball auf Didavi entsprang.

Im eigenen Ballbesitz kippte gelegentlich Gülselam oder einer der Achter angedeutet ab. Der ballnahe Flügelspieler orientierte sich recht tief, besonders Bittencourt agierte dabei teilweise weit eingerückt (Kiyotake macht das ja sowieso quasi immer). Bei den gelegentlich erzeugten Kontergelegenheiten ließ sich Joselu erneut als kurze Ablagestation fallen. Die Umschaltmomente wurden allerdings oft nur in Unterzahl und somit relativ risikolos und mit stark ausgeprägtem Flügelfokus (auch bekannt) ausgeführt. Statt beider Achter ging meist nur einer in den Kontern mit in die Offensive. Da eine Absicherung durch Gülselam gewährleistet gewesen wäre, deutet dies darauf hin, dass das Augenmerk auf der defensiven Stabilität gelegt werden sollte. Einige Kontergelegenheiten wurden nicht gut ausgespielt, dennoch wurde 96 in Ansätzen bei gleichzeitig sicherer Defensive ein paar Mal durchaus gefährlich nach dem schnellen Umschalten.

Stuttgart störte 96 im Spielaufbau deutlich früher als es die Gäste wie dargelegt auf der anderen Seite taten. Sie staffelten sich dabei in einem asymmetrischen 4-4-2 (oder 4-4-1-1). Meist schob Gentner seitlich leicht versetzt neben Timo Werner auf. Daniel Didavi orientierte sich bei Ballbesitz 96 stärker ins Zentrum und agierte dabei etwas tiefer als die vordere Reihe zugriffsorientiert auf einen gelegentlich abkippenden Sechser oder Achter. Etwas seltener erwartete Stuttgart Hannover auch in ihrer 4-3-2-1-Grundformation, legte diese aber ebenfalls leicht asymmetrisch aus, indem sich Gentner und Didavi nicht auf einer Höhe befanden und mit etwas anderer Rollenverteilung verhielten. Besonders durch Didavis Rolle wurde das Bespielen des defensiven Zentrums im Spielaufbau zu verhindern versucht, die beiden 96-Außenverteidiger wurden zwangsläufig früh in das Spiel eingebunden. Sakai war dabei etwas offensiver ausgerichtet als auf der anderen Seite Albornoz. Die eingerückten und tiefen Flügelspieler deuteten so bereits an, dass auch die Kombinationsansätze Hannovers eher in den Außenzonen stattfanden.

Eine Anbindung in das offensive Drittel gelang 96 wie in den letzten Spielen schon zu sehen nach wie vor eher selten. Gefahr entwickelten die Gäste meistens, wenn nach einem Ballgewinn schnell über die Flügel und oft in Unterzahl umgeschaltet wurde. Dabei wurden allerdings erneut ein paar schlechte Entscheidungen getroffen und die Konter so nicht gut ausgespielt. Defensiv überzeugte 96 jedoch vor allem mit der überraschend sauberen Abstimmung der Bewegungen im neuen System. 96 störte nicht früh und nicht kollektiv intensiv, verknappte aber sehr gut die Räume, ohne statisch auf die Stuttgarter Angriffsversuche zu warten. So ging es mit einem folgerichtigen 0:0 in die Halbzeit eines bis dahin taktisch sehr interessanten Spiels.

Die zweite Halbzeit

Armin Veh reagierte auf die möglicherweise auch von ihm wahrgenommenen Probleme im letzten Drittel, die durch die zu hohe Flexibilität seiner Offensivspieler erzeugt wurden, und brachte Filip Kostic für Carlos Gruezo. Im Ballbesitz war die Besetzung der Positionen und Räume in der Folge wieder strukturierter und die Anbindung an die Offensive gelang zu Beginn der zweiten Halbzeit deutlich besser. Stuttgart trat nun immer deutlicher in einem 4-2-3-1 auf, in dem Timo Werner seine ausweichenden Bewegungen reduzierte. Die Schwaben deuteten im Ballbesitz immer wieder Linksüberladungen an, indem Didavi und Werner sich auf diese Seite orientierten und Kombinationen mit dem technisch starken Kostic suchten. Die erhöhte Präsenz im Sturm und die jetzt produktivere Flexibilität zog die Defensivformation von 96 quasi ein wenig auseinander, sodass die Heimmannschaft in den ersten Minuten des zweiten Durchgangs auch zu der ein oder anderen gefährlichen Situation kam.

96 reagierte auf die Stuttgarter Umstellung nach etwa zehn Minuten mit jetzt noch tiefer stehenden Flügelspielern. So staffelte sich Hannover gegen den Ball gelegentlich in quasi 6-3-1-haften Anordnungen. So gelang es, den anfänglichen Schwung aus dem Spiel der Gäste zu nehmen, die vor allem über die linke Seite mit dem frischen Kostic immer wieder den Weg zum Tor suchten. In der Folge dieser beidseitigen taktischen Anpassungen nahm die Anzahl der Chancen aus dem Spiel heraus immer weiter ab. Bezeichnenderweise sorgte eine Standardsituation (folgerichtig nach einem Angriff über links) für das einzige Tor des Tages. An den Abläufen im Spiel gegen den Ball hatte sich bei 96 zuvor nur wenig geändert, jedoch ließ die Konsequenz im Anlaufverhalten der Achter und der Reaktion der beiden anderen zentralen Mittelfeldspieler darauf teilweise ein wenig nach.

Nach dem Gegentor betrat Artur Sobiech für Ceyhun Gülselam das Feld, sodass 96 fortan in einem 4-4-2 agierte. Hiroshi Kiyotake agierte noch stärker eingerückt als zuvor, wodurch teilweise 4-3-3-hafte Staffelungen im Ballbesitz entstanden. Sobiech verhielt sich wie üblich etwas tiefer stehend und nach Möglichkeiten im Zwischenlinienraum suchend, Manuel Schmiedebach schob dafür immer wieder diagonal auf die rechte Seite hervor. 96 versuchte als Folge all dieser leichten Veränderungen in der Schlussphase, hauptsächlich über die rechte Seite zu kombinieren. Ergänzt wurde das Offensivspiel durch immer mehr frühzeitig gespielte lange Bälle, die auf Grund der nun größeren personellen Besetzung in der Offensive durchaus sinnvoll waren. Zusätzlich dazu erhöhte 96 den Druck auf zweite Bälle (was die Auswechslung Gülselams anstelle von Andreasen erklärt). Doch auch sich weiterhin bietenden Kontergelegenheiten und die Kombinationsansätze auf der rechten Seite wurden teilweise überhastet ausgespielt. Zudem gerieten die Staffelungen im und am gegnerischen Strafraum zu ungeduldig. 96 arbeitete sich in den letzten Minuten zwar gelegentlich noch in potentiell torgefährliche Bereiche vor, nutzte diese Situationen eigenverschuldet jedoch nicht mehr zum Ausgleichstor.

Fazit

Erneut ließ 96 aus dem Spiel heraus kein Gegentor zu und auch die Anzahl an guten Torchancen der Stuttgarter hielt sich in engen Grenzen. Lediglich in den ersten Minuten der zweiten Halbzeit bereitete die Umstellung des Stuttgarter Spiels der Abwehr einige Probleme, doch auch darauf wurde passend reagiert. Mit ihrem 4-1-4-1 als defensiver Variation des 4-3-3 überzeugte die Mannschaft von Tayfun Korkut jedoch in der ersten Halbzeit vor allem durch die gute Abstimmung und die saubere Ausführung der Bewegungen, mit der sie die Möglichkeiten der Stuttgarter im Spielaufbau einschränkte. Zudem war das gesamte Defensivverhalten Hannovers gegen die Stuttgarter allgemein sehr gut angepasst. Die spielstarken und teilweise kreativen Sechser wurden zu starkem Ausweichen und Abkippen gezwungen, die hoch stehenden Außenverteidiger waren nur mit langen Bällen zu erreichen, bei deren Ankunft 96 aber bereits wieder Überzahl geschaffen hatte, und die dynamischen und technisch starken Offensivspieler waren immer wieder zum Verlassen ihrer Positionen gezwungen, um Anbindung an das Spiel zu finden. Zwar war dies von Stuttgarter Seite aus auch so gewollt, jedoch gelang es ihnen in der ersten Halbzeit nicht, bei all diesen Rochaden produktiv vor das Tor Hannovers zu gelangen. Der Vorwurf, 96 habe „mit drei Sechsern“ und daher ängstlich gespielt, geht aber am Kern des Vorhabens von Tayfun Korkut vorbei. Die neuen Positionen wurden von Manuel Schmiedebach und Leon Andreasen nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr gut ausgefüllt, sodass ihre angebliche Natur als defensiver Sechser keinen Einfluss auf die Spielweise hatte. Es war genau so geplant und sehr erfolgreich darin, den Stuttgartern keine Chancen aus dem Spiel heraus zu ermöglichen. 96 stellte sich auch nicht mutlos oder ängstlich hinten rein, sondern versuchte, Raumkontrolle und Kompaktheit mit individuellem Druck durch situatives Anlaufen zu erzeugen. „Den Bus parken“ geht anders.

Sich auf schnelle, flügellastige Gegenstöße zu konzentrieren, ist unter anderem eben wegen der hoch stehenden Stuttgarter Außenverteidiger ebenfalls absolut nachvollziehbar gewesen. Zudem ging diese Strategie in einigen Situationen gut auf, wurde lediglich durch individuell schlechte Ausführungen durch die Spieler nicht zu einem Tor genutzt. Insgesamt war das Spiel taktisch nicht nur interessant und abwechslungsreich, sondern von der Grundausrichtung her auch sinnvoll angelegt. Daher ist Korkut zu Recht der Ansicht, dass seine Spieler den Plan gut umgesetzt haben. Lediglich die in den letzten Wochen ohnehin erkennbare Tendenz von Problemen mit der Durchschlagskraft äußerte sich auch in diesem Spiel wieder. Mit ein wenig mehr Geschick (und Glück) in einzelnen Umschaltsituationen wäre ein Sieg gegen individuell stark besetzte Stuttgarter möglich gewesen. Aber so entsteht rückblickend bei einigen Beobachtern und Fans wohl der Eindruck, 96 hätte mutlos gespielt und den Sieg „nicht gewollt“, weil Stuttgart ein Tor nach einer Ecke erzielte.

Spieler des Spiels: Manuel Schmiedebach – macht alles

In einem vor allem in der ersten Halbzeit gruppentaktisch sehr ansprechenden Spiel ist es ein wenig schwieriger, einen besonders hervorstechenden Spieler zu bestimmen. Die Innenverteidiger orientierten sich erneut sehr konsequent und geschickt im Abwehrverhalten und waren so erneut Garanten für die Stabilität in der Endverteidigung, ihre taktische Rolle war jedoch nicht auffällig genug (das gleiche gilt für Zieler, er konnte nicht so oft mitspielen wie man es schon gesehen hat).
Wie in der Analyse wohl ersichtlich wird, war taktischer Sicht das Verhalten der drei zentralen Mittelfeldspieler besonders erfreulich. Dabei fiel Manuel Schmiedebach als linker Achter gelegentlich mit feinen Besonderheiten im Spiel gegen den Ball auf, sodass er letztlich zum Spieler des Spiels ernannt wird. So trug er grundsätzlich wie auch Gülselam und Andreasen seinen Teil dazu bei, dass das Defensivspiel im 4-1-4-1 so gut funktionierte. Darüber hinaus gefiel er aber immer wieder mit intelligenterem Anlaufen des Innenverteidigers als Andreasen. Schmiedebach lief manchmal leicht bogenförmig von links an, sodass er den direkten Pass auf die Flügel noch besser verhindern konnte. Zudem war sein Verhalten nach dem Rückstand mit geradlinigen, aber nicht zu überhasteten diagonalen Läufen in die Spitze sehr gut angelegt und bot seinen Mitspielern die eine oder andere Möglichkeit, ihn ins Spiel einzubringen. Generell waren seine Laufwege vor allem in der Offensive sinnvoll, sodass er auch zu der wohl besten 96-Chance des Spiels kam, den Ball aus wenigen Metern aber leider nicht im Tor unterbringen konnte. Aber fürs Tore schießen war Schmiedebach noch nie zuständig. Sein großer Bewegungsradius war hilfreich genug (11,63 km gelaufen, höchster Wert bei 96).

Keine Kommentare

  • Fand uns auch nicht so schwach.

    Haben wir diese Art der Verteidigung schon mal gespielt? Mit einer Spitze und herausrückenden Achtern? Sonst standen wir doch immer traditionell bei gegnerischem Ballbesitz auf 4-4-2?

  • Nee, ich würde fast behaupten, dass gegen den Ball auf diese Weise das erste Mal in der jüngeren Bundesligageschichte von 96 gespielt wurde. Sonst war es zuletzt immer ein 4-4-1-1 oder 4-4-2. Dass die Bewegungen der Achter und des Sechsers so harmonisch und gut aufeinander abgestimmt waren, war deshalb für mich sehr überraschend und erfreulich.

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