96 – Bayern München 0:3

Heimspiel, großer Gegner – das kann nur eins bedeuten. Hannover stellt Bayern zu und macht dem schlampigen und mit viel Selbstvertrauen bewusst suboptimal aufgestellten Rekordmeister Probleme – aber nur wenige Minuten lang.

Hannovers Pressing-Schizophrenie

Breitenreiter schickte seine Elf zum ersten Mal seit gefühlt (sprich: zu faul nachzugucken seit wann wirklich) einigen Wochen wieder mit dem aus der Hinrunde bestens bekannten Pressing-Plan ins Spiel: die gegnerische Ballbesitzformation spiegeln und Eins-gegen-eins-Duelle wenn möglich auf dem ganzen Platz herstellen. Die frühen bayrischen Aufbauversuche im nominellen 4-1-4-1 stellte 96 im 5-2-1-2 eng manndeckend zu. Bebou deckte den überraschenden (aber gegen lange Bälle auf Füllkrug und zum Verteidigen zweiter Bälle eben auch sehr gut geeigneten) Bayern-Sechser Süle und die beiden 96-Sechser kümmerten sich um James und Thiago, während Harnik und Füllkrug die beiden FCB-Innenverteidiger störten. Auch wegen der personellen Zusammenstellung der Mannschaft hatte der Gast in den Anfangsminuten ein paar Probleme, den Ball strukturiert nach vorne zu spielen. 96 rückte energisch auf die Gegenspieler auf und provozierte viele der unsauberen Abspiele, die sich bei den Bayern im Spielverlauf noch häufen sollten. Auch die mangelnde Pressingresistenz von Süle konnte so aufgedeckt werden, doch der Innenverteidiger setzte seinen Körper geschickt ein und vermied folgenschwere Ballverluste gegen Bebou oder Bakalorz. Auf den Flügeln hatte Hannover dagegen Schwierigkeiten: Albornoz rückte weit und früh auf, um Rechtsverteidiger Rafinha unter Druck zu setzen, sodass Elez mitunter recht weit gegen Robben hätte herausrücken müssen. Das widerspricht allerdings ein bisschen dem Sinn der defensiven Dreierkette und ist außerdem gegen den dribbelstarken Niederländer nicht immer sinnvoll, sodass hier ein paar gefährliche Szenen für Bayern entsprangen. Das größere Problem lag aber auf Hannovers rechter Seite: Einerseits besetzte Thiago sehr geschickt seine linke Seite so, dass er Sorg hinten band, und andererseits trauten sich Hübers und Sorg das Risiko ihrer Pendants auf dem anderen Flügel einfach nicht zu, sodass der junge 96-Verteidiger meistens frei blieb. Beim Eins-gegen-eins auf dem ganzen Platz bedeutete das, dass auch ein Bayern-Akteur frei blieb: FCB-Linksverteidiger Juan Bernat diente deshalb oft als Befreiungsoption im bayrischen Spielaufbau.

Pressing_96

Da sich Hannover zügig in ein kompaktes und relativ tiefes 5-2-3 oder 5-4-1 zurückzog, wenn sich der Gegner flach nach vorne zu befreien anschickte, hatte Bayern auch Platz für den Neuaufbau von den beiden Flügeln. Außerdem ging 96 in der tiefen Verteidigung nicht mehr eng mit den zugeteilten Gegenspielern mit, sodass insbesondere wenn Bebou noch bei Süle stand, der lange Seitenwechsel bei Bayern immer eine gute Option war. Die beiden 96-Sechser mussten in der tiefen Stellung viel zu den Seiten arbeiten, wo die Bayern-Flügelspieler nach innen rochierten und ihre Achter nachstießen, sodass der ballferne Halbraum oft frei wurde. Außerdem fand Bayern nach ein paar Szenen auch zu einer weiteren guten Lösung gegen das gegnerische Zustellen, indem die beiden Außenverteidiger im Aufbau nach innen einrückten, sich so eher in den Wirkungsbereich der 96-Sechser bewegten und nicht mehr für die Flügelverteidiger greifbar wurden. So konnte der FCB den Gegner dann schneller überspielen und zurückdrängen. Vermutlich wegen dieser zwei, drei Zugriffsprobleme stellte Breitenreiter dann schon früh im ersten Durchgang auf ein 5-4-1 um, indem Bebou dauerhaft auf die linke Seite ging. Hannover rückte jetzt gar nicht mehr hoch ins Pressing, sondern verstellte sehr passiv den Übergang zwischen zweitem und letztem Spielfelddrittel. Im Mittelfeld gab 96 fast gar keinen Druck mehr auf den gegnerischen Ballführenden. Hannover belauerte (nur) die Passwege nach innen und verstellte die Abwehrschnittstellen recht gut, sodass der mutmaßliche Plan eigentlich nicht so schlecht umgesetzt wurde. Allerdings konnte Bayern ohne Gegnerdruck im Mittelfeld immer in Ruhe die Momente abpassen, in denen das Kombinationsspiel beschleunigt wurde. Als Thiago und James sich flüssiger bewegten und Bayern allgemein flexibler wurde (Süle stieß halbrechts nach vorne, Rudy balancierte mehr aus, Wagner bewegte sich entlang der Abwehrlinie), erlebte die Heynckes-Elf ihre beste Spielphase und konnte Hannovers prinzipielle Pressingfallen aushebeln.

BB_FCB

Es ist zwar sehr sinnvoll, gegen Bayerns breit angelegtes Ballbesitzspiel nicht die höchste Intensität im Pressing aufzufahren, weil man sich sonst einfach kaputt läuft. Aber das Ansinnen, erst passiv im Mittelfeld zu stehen und sich dann nach Pässen ins Zentrum zusammenzuziehen, um den Ball in Überzahl zu erobern und zu kontern, scheiterte an Bayerns technischer Klasse in Direktkombinationen bei hohem Tempo: 96 kam kaum einmal zu Balleroberungen, und wenn doch gerieten die sehr schnell steil nach vorne gespielten Pässe zu ungenau. Bayern konnte sich also immer wieder die Flügel freispielen, kam nach Flanken zu drei Großchancen und hatte zudem den freien Rückraum für sich. Weil der FCB vor der Pause wieder deutlich statischer wurde, blieb nur noch das suboptimale Positionsspiel und das eher schlampige Passspiel übrig, sodass Hannover mehr Luft zum Atmen gegeben wurde – zwei gute Chancen sprangen für den Gastgeber noch heraus (ein halber Konter und ein Freistoß).

Umstellungen

Es schien, als hätte Hannover nach dem Wiederanpfiff wieder zurück auf das 5-2-1-2 gestellt, als 96 den Gegner hoch im Feld zustellte und Bebou sich zentral positionierte. Aber auch diese Phase blieb von kurzer Dauer, ehe sich 96 wieder tief zurückzog und mit zehn bis elf Spielern den Strafraum verteidigte. Auf der rechten Bayern-Seite änderten sich die Abläufe durch die Hereinnahme von Müller für Robben ein wenig (Müller ging mehr diagonale Wege in die Tiefe und startete von weniger weit außen, Rudy spielte dafür etwas breiter). Angesichts des weiterhin sehr passiven 96-Verhaltens im tiefen Mittelfeldpressing war der Rückstand nach einem Flügelangriff nur eine Frage der Zeit (Abseits hin oder her). Nach einem ebenfalls oft gesehenen Muster überlief links Bernat seinen einrückenden Mitspieler und empfing den Chip-Pass hinter die Abwehr. Bayern konnte ohne Gefahr durch den Gegner das Spiel verwalten und wurde in der Positionsstruktur etwas konservativer (und hatte nicht mehr viele suboptimale Szenen, in denen sie quasi mit drei Sechsern spielten und an Zehnerraumpräsenz einbüßten, was durch die Doppelacht James-Rudy vor Süle aber absolut erwartbar war). Nach dem 0:2 stellte Breitenreiter noch einmal auf ein 4-2-3-1 mit Sané und Fossum als Sechser hinter Maier um, doch obwohl das Münchner Gegenpressing mit kurzen Ausnahmen in keiner Phase des Spiels allzu gut griff, kam Hannover zwar ein paar Mal durch das Zentrum, aber nicht mehr zum Abschluss.

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